Am Grund des Bodensees liegen Hunderte versunkene Schiffe

Mittelalterliche Segelschiffe, historische Lastensegler, Dampfschiffe aus dem 19. Jahrhundert - auf dem Grund des Bodensees liegen Zeugen aus vielen Jahrhunderten Schifffahrtsgeschichte. Als eines der bekanntesten Süßwasserwracks Europas gilt das Dampfschiff Jura aus dem 19. Jahrhundert, dem das Seemuseum im schweizerischen Kreuzlingen bis zum 18. November eine Sonderausstellung widmet.

„Die Jura ist schon was Besonderes“, sagt Kantonsarchäologe Hansjörg Brem. „Sie liegt gut einen Kilometer vom Ufer in etwa 40 Metern Tiefe in der Dunkelheit.“ 2004 stellte der Kanton Thurgau das 46-Meter-Schiff als „Unterwasser-Industriedenkmal“ unter Schutz, nachdem es Taucher über Jahre geplündert hatten.

Rund 300 Wracks allein auf baden-württembergischen Gebiet verzeichnen die Unterwasserarchäologen des Landesamtes für Denkmalpflege in Gaienhofen (Kreis Konstanz). „Bis zu 50 wurden identifiziert“, schätzt Referatsleiter Helmut Schlichtherle. Mithilfe eines Sonargerätes des Instituts für Seenforschung in Langenargen wird der Grund seit Mitte der 1990er Jahre untersucht. Dabei liefert das Gerät eine Art Schallbild des Bodens.

Lage der Wracks bleibt oft geheim

Wracks im Flachwasser seien meist absichtlich versenkte Schrottschiffe, sagt der Freiburger Schiffsarchäologe Dietrich Hakelberg. Im Tiefwasser fänden sich oft Havaristen. „Wegen des potenziell schädlichen Tauchtourismus veröffentlichen Archäologen die Fundorte von neu entdeckten Wracks meist nicht.“

Im See bei Bodman-Ludwigshafen machten die Forscher eine Ausnahme: Am „Lehmschiff“, einem Lastensegler-Wrack aus dem 19. Jahrhundert, wurden Informationstafeln für Taucher angebracht - in 20 Metern Tiefe entstand so ein kleines „Museum unter Wasser“.

Berühmtheit erlangte auch das Wrack, das 1983 am Kippenhorn bei Immenstaad zum Vorschein kam. Wegen Uferarbeiten bargen Archäologen das 18 Meter lange Schiff acht Jahre später. Eine Spezialuntersuchung des verwendeten Holzes ergab, dass es aus dem 14. Jahrhundert stammt. Zu sehen ist das mittelalterliche Schiff im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz. Schlichtherle sagt: „Das ist das einzige historische Wrack, das gehoben wurde und ausgestellt ist.“ Hebung, Konservierung und Ausstellung verschlangen Millionen.

Fund wurde wieder eingegraben

Die Konservierung von Wracks außerhalb des Wassers ist nach Angaben der Wissenschaftler schwierig. 2006 entdeckte ein Schlittschuhläufer vor der Klosterinsel Reichenau ein historisches Schiffswrack unter der Eisdecke. Wegen seiner Gefährdung durch Erosion und Schiffsverkehr im Flachwasserbereich wurde es 2009 geborgen. Auch hier ergaben Untersuchungen von Holzteilen aus dem etwa neun Meter langen Bootskörper, dass das Schiff - vielleicht ein Fischerboot - aus dem 14. Jahrhundert stammt.

Im vergangenen Jahr wurde der Fund an einer geschützten Stelle wieder eingegraben, wie Schlichtherle sagt. „Das wird sicher auch in Zukunft so sein, dass Funde zunächst gut dokumentiert und dann im See konserviert werden.“ Auch Hakelberg bekräftigt: „Wissenschaftlich ist es sinnvoller, Nassholz im See zu lassen, weil es außerhalb des Wassers schrumpft und anfällig ist für Pilze und Bakterien.“

Lage, Erosion und Strömung entscheiden darüber, ob Wracks über die Jahrhunderte im Seewasser erhalten bleiben. Bis heute wurden keine Überreste aus römischer Zeit gefunden, obwohl auch die Römer den Bodensee mit Schiffen befuhren. „Ein römisches Militärschiff zu finden“, sagt Hakelberg, „das wäre eine Sensation“.

(Schwäbische Zeitung v. 12.10.12)

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