Von einem Traumberuf, der nie einer war


Martin Vollmer hat von seinem Arbeitsplatz eine Sicht, die beneidenswert ist. Er blickt direkt auf den Bodensee. Sein Arbeitsplatz befindet sich nicht in einem Büro, sondern auf einem Schiff. Vollmer ist Kapitän bei der Bodensee-Schiffsbetriebe GmbH (BSB). "Mein Traumberuf war das nie", erinnert sich der 45-Jährige. Per Zufall sei er vor 22 Jahren zur Schifffahrt gekommen. Und geblieben.
 
Heute ist er auf der MS Graf Zeppelin eingeteilt. Abfahrt ist um 10 Uhr. Auf dem Fahrplan steht die Kursstrecke nach Rorschach über Langenargen, Kressbronn und auf Schweizer Seite über Horn und Arbon, zurück nach Friedrichshafen. 56 Kilometer ist die Strecke lang, drei Stunden dauert der Kurs, dem die Crew den Namen "Bananenkurs" gegeben hat. Anscheinend hat der Kurs die Form einer Banane, so die Erklärung. Knapp zwei Stunden vor Abfahrt trifft sich die Mannschaft, bestehend aus Vollmer, Kassierer Klaus Böse und Matrose Thomas Arnoldt. "Von uns könnte jeder das Schiff fahren", so Vollmer. Die Zusammensetzung der Mannschaft wechselt genauso regelmäßig, wie die Schiffe, die Vollmer fährt. Ein Lieblingsschiff oder eine Lieblingsstrecke hat er nicht. 

Die Männer kontrollieren, ob alle Rettungswesten an Bord sind, der Anker klar ist, inspizieren den Maschinenraum, putzen die Tische, stellen die Klimaanlage ein. Der Tank ist voll, 9000 Liter passen rein. "Das reicht eine gute Woche", so Vollmer. Die Getränke werden angeliefert, Prospekte ausgelegt. Die ersten Passagiere betreten das Deck. 700 Personen passen auf das Schiff. Bei Hafenausfahrt ertönt ein langer Hupton, dann tuckert die MS Graf Zeppelin mit 20 Stundenkilometern Richtung Langenargen.

Vollmer kennt den gesamten Fahrplan auswendig. "Eine Uhr brauche ich nicht. Ich weiß je nach Schiff, das einem entgegenkommt, in den Hafen einfährt oder diesen verlässt, wie spät es ist." Wochenende oder regelmäßige Arbeitszeiten sind für den verheirateten Kapitän und Vater von drei Kindern Fremdwörter. "Meine Familie unterstützt mich", ist Vollmer froh. Sein Freundeskreis setzt sich aus seinen Kollegen zusammen. Der Sommerurlaub wird auf Herbst oder Frühjahr verschoben. Den letzten Urlaub hat die Familie an der Nordsee verbracht. "Wasser ist einfach was Schönes", findet Vollmer, der seinen Beruf gerne ausübt. "Man ist viel an der frischen Luft", beschreibt er einen Vorteil und lenkt das Schiff an die Anlegestelle. Während die Passagiere einsteigen, zählt er fleißig mit. Die Anzahl der Fahrgäste wird in einem Fahrbericht festgehalten.
 
Ungemütlich wird es auf den Schiffen, wenn ein starker Wind geht. Die Wetterlage kann sich immer kurzfristig ändern. "Man muss sowohl die Gummistiefel als auch die Sonnenbrille an Bord haben", erzählt Vollmer. Heute ist der See ruhig, der Himmel strahlend blau. Perfektes Arbeitswetter. Das Schiff ist für Vollmer wie ein zweites Zuhause. Wie der Bodensee, der ihm durchaus auch mal klein vorkommt. Vorausschauend fährt er den Kurs. Besonders vor Langenargen und Kressbronn, wo es die meisten Segler gibt, gilt es aufzupassen. "Eigentlich haben wir Vorfahrt", berichtet Vollmer, während er das Schiff bremst, um zwei Segelboote vorbeiziehen zu lassen. Bei Hafeneinfahrt ertönt dreimal ein langes Hupen. Vollmer und die MS Graf Zeppelin sind von ihrer Fahrt zurück. Die nächste wartet schon. 

(Stefanie Nosswitz/Südkurier v. 12.09.2006)

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