«Mary Ann» auf dem Untersee

Einst fuhr dieses 100jährige Motorschiff als Taxiboot für Zeppelin-Passagiere auf dem Vierwaldstättersee. Die Zukunft des Motorschiff-Klassikers liegt am Untersee, als kleines Passagierschiff.

«Do chunnt me fascht Augenwasser über.» Das sagte Michael Müller beim Anblick seines Lebenstraums, der gestern Freitag mit einem Spezialtransporter in Ermatingen anrollte – 28 Tonnen schwer, ein eigenes Fahrgastschiff. Gemeindeammann Martin Stuber steht dabei und freut sich, dass «seine» Ermatinger wieder einmal Erfolgsgeschichte schreiben.

Schiff muss restauriert werden

«Chef, jetzt muesch Dir en Seemannsbart wachse loo», bemerkten Angestellte der Müller Haustechnik AG und mit Blick auf das Schiff: «Das gibt noch viel Arbeit.» Die Technik wird in Eigenleistung bewältigt, die Bootsbauerarbeiten übernimmt Dominik Schenk aus Ermatingen. Schiffe sagen viel über ihre Eigner aus. Wer sein Herz an dieses 28 Tonnen schwere und 18 Meter lange historische Schiff hängt, outet sich als Klassiker-Fan.

Wer es nicht weiß, könnte den Kauf des Unternehmers Michael Müller, Vater von fünf kleinen Buben, skeptisch beurteilen und sich fragen, ob die Anschaffung für einen Haustechnik-Unternehmer und gelernten Sanitär-Spengler vernünftig sei. Ist sie, denn Müller arbeitete als junger Mann bei der Bodenseeschifffahrt im Maschinenraum. «Die Schifffahrt lässt mich nie los», sagt er. In den Jahren 1995 und 1996 übernahm er mit seiner Haustechnik-Firma den Heizungs- und Sanitärbau der gesamte Schweizer Fahrgastschiff-Flotte.

Der Tipp aus Insiderkreisen

Müllers Passion für Schiffe ist in Insiderkreisen bekannt. Zum Glück, denn dieses Schiff sollte nach Holland verkauft werden. «Es stand in Mulhouse, und ich kaufte es im letzten Moment, quasi zum Alteisenpreis», sagt er.

1910 wurde das Motorschiff, erbaut in der Hamburger Hitzler-Werft, auf «Mars» getauft. Inzwischen heißt es «Mary Ann». Das Schiff wurde zuerst an den Vierwaldstättersee verkauft, als Taxiboot für die Zeppelin-Fahrgäste, die auf dem Weg nach Bern Zwischenhalt in Luzern machten. Später fuhr das Schiff auf dem Brienzersee als Fahrgastschiff, danach als Privatschiff auf dem Murtensee.

Wie zuvor mit den Kapitänen Max Grüninger und Emil Bügler werde man nach einer Lösung für den Standort Ermatingen suchen, sagte Gemeindeammann Martin Stuber. Michael Müller schätzt, dass es 2013 werden könnte, bis alles perfekt ist. Sein Schiff soll als kleines Passagierboot für 40 Leute eingesetzt werden, obwohl es für 80 Leute zugelassen war. «Mich reizt es, den Diesel-Deutz-Motor aus dem Jahr 1933 wieder flott zu machen», sagt der neue Besitzer. «Im Aussehen muss das Schiff möglichst dem Original mit Holzdeck und Blechdach entsprechen.» Müller klopft liebevoll an die Schiffschale: «So gut erhalten, dieses Stahlschiff, unverwüstlich genietet.» Bei dem Material handle es sich um extrem widerstandsfähigen Wotanstahl, der auch für das Schlachtschiff «Bismarck» der deutschen Kriegsmarine verwendet wurde. Und wer soll Kapitän sein? «Ich habe einen Angestellten, der das entsprechende Brevet besitzt», sagt Müller.

(Margrith Pfister-Kübler/St. Galler Tagblatt v. 24.06.11)

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