Freie Fahrt in eine neue Ära

Bevor der Bodensee von einem Schienennetz umspannt war, wurde 1869 der Huckepackverkehr von Eisenbahnwaggons auf grossen Fährschiffen initiiert, der sogenannte Trajektverkehr. Zu Spitzenzeiten bestanden Linien von Lindau nach Romanshorn und Konstanz, von Bregenz nach Lindau, Romanshorn, Friedrichshafen, Konstanz und zwischen Friedrichshafen und Romanshorn.

Die USA erlebten schon in den 1920er-Jahren jene Massenmotorisierung, die in Europa bis nach dem Zweiten Weltkrieg auf sich warten liess. Dennoch wurde bereits am 30. September 1928 die Autofähre Konstanz–Meersburg in Betrieb genommen.

Der Romanshorner Schifffahrtsinspektor der SBB schrieb am 11. Februar 1929 an den Betriebschef III der SBB: «Dass ein bequemes Übersetzen der Autos mit häufigen Fahrgelegenheiten auf dem Bodensee zum Bedürfnis geworden ist, beweist der rege Verkehr mit der Autofähre zwischen Konstanz-Staad und Meersburg.»

 «Schussen» fährt in die Zukunft

Am 1. Juli 1929 konnte mit dem neuen deutschen Fährschiff «Schussen» der kombinierte Eisenbahntrajekt, Automobil- und Personenverkehr zwischen Romanshorn und Friedrichshafen, aufgenommen werden. Die «Schussen» bot auf ihrem Gleisdeck Platz für zehn zweiachsige Güterwaggons oder 40 Personenautos. Als sie vom Stapel lief, sprach der Romanshorner Schifffahrtsinspektor der SBB von einem «denkwürdigen Tag für die Bodenseeschifffahrt».

Vorgängig mussten noch eine Zufahrtsmöglichkeit für Autos zur Trajektbrücke geschaffen und im Bahnhof Romanshorn zwischen den Schienenzungen hölzerne Rampen angebracht werden.

Die Überfahrt war für Motorräder mit Anhänger und 1- bis 7plätzige Autos vorgesehen, nicht für Lastwagen und grössere Automobile (sogenannte Tourenwagen). Dies war wegen der schwierigen Zu- und Abfahrt in Romanshorn nicht möglich.

Schwierige Verhandlungen

Im Zweiten Weltkrieg ruhte der Eisenbahnfährverkehr. Die Linie wurde am 15. Mai 1939 – also noch vor Kriegsbeginn – bis am 5. Januar 1948 stillgelegt. Die Verhandlungen zur Wiederaufnahme des Autofährbetriebs zogen sich allerdings über längere Zeit hin.

Während die SBB auf die Bremse traten, befürworteten Romanshorn, die Deutsche Bahn, besonders aber die Industrie- und Handelskammer Ravensburg den Autofährverkehr Romanshorn – Friedrichshafen. Ab 1950 begannen die Planungen; Romanshorn machte sich auf, Nägel mit Köpfen zu machen und dem wachsenden Autoverkehr Tribut zu zollen. Die Fährenanlandestelle für Autos wurde hinter das alte Zollhaus verlegt, wo die Zufahrt keinen Beschränkungen unterlag.

Am 27. April 1954 wurde die Genossenschaft Autofähre gegründet, die – so staunt man heute – jedoch den Vorrang der Eisenbahnwaggons vor den Autos gewährleistet haben wollte. Zwischen den SBB, der Deutschen Bundesbahn und der Gemeinde Romanshorn wurde ein Fährvertrag abgeschlossen. Nach der stark besuchten Gemeindeversammlung im November 1954 konnte mit dem Bau einer neuen Landestelle in Romanshorn begonnen werden.

Innovative Konstruktion

«Im Hafen von Romanshorn wurden eine besondere Anlegestelle mit schwimmender Landebrücke sowie ein Abfertigungs- und Zollgebäude (heute Sommerrestaurant) errichtet.» Was im SBB-Geschäftsbericht 1955 so lapidar klingt, war eine neuartige Konstruktion der Autolandebrücke in Romanshorn.

Die Anpassung der 16 Meter langen und 4,30 Meter breiten Landebrücke an den Wasserstand des Bodensees, der bis zu 3 Meter schwanken kann, geschah durch eine Taucherglocke automatisch. Diese hatte ein Gewicht von 6,4 Tonnen und wurde mit Druckluft aus einer Kompressoranlage gefüllt.

Schon bald mit zweiter Fähre

Die Eröffnung der Autofährverbindung erfolgte am 22. Mai 1955. Im 2-Stunden-Takt besorgte die «Schussen» bis 1959 allein den Autofährdienst. Nach dem Stapellauf der zweiten Motorfähre, der «Romanshorn» am 6. November 1958, konnte der Güterwaggon- und Automobiltransport bis zum Ende des Eisenbahntrajekts 1976 durch zwei motorisierte Fähren im Stundentakt durchgeführt werden.

1963 wurde der Fährvertrag seitens den SBB kurzfristig gekündigt, wodurch die «Romanshorn» nicht mehr für den Autotransport zur Verfügung stand. So gab es wieder den 2-Stunden-Takt. Nur sonntags konnte man stündlich sein Auto über den See führen lassen. Das lässt sich auch an der Zahl der transportierten Autos ablesen.

Wieder am alten Ort

Wie einst in der Zwischenkriegszeit erfolgt heute, nach dem Bau der Strassenüberführung Friedrichshafenerstrasse im Jahr 1983, in Romanshorn die Zufahrt der Autos auf die Fähre am Standort der ehemaligen Eisenbahnwagenverladestelle.

Was die Fährschiffe anbelangt, so wurde 1983 die «Schussen» ausgemustert und durch das 1965 in Betrieb genommene Motorfährschiff «Friedrichshafen» ersetzt, das seit 1996 durch die «Euregia» ergänzt wird.

Fährverkehr - Lange Tradition

Vor 145 Jahren wird der Eisenbahnfährverkehr am Bodensee aufgenommen. Die Linie zwischen Romanshorn und Friedrichshafen bleibt bis 1976 in Betrieb. Seit 85 Jahren verkehrt mit Unterbrüchen eine Autofähre ab Romanshorn Richtung Friedrichshafen.

1869 Eisenbahnfährverkehr (Trajektfähren) am Bodensee geht in Betrieb

30. September 1928 - Inbetriebsetzung der Autofähre Konstanz–Meersburg

1. Juli 1929 - Autofährbetrieb zwischen Romanshorn und Friedrichshafen mit dem deutschen Schiff «Schussen» startet

1939-48 - Während des Zweiten Weltkriegs gibt es keinen Fährbetrieb zwischen Romanshorn und Friedrichshafen

27. April 1954 - Die Genossenschaft Autofähre wird in Romanshorn gegründet

22. Mai 1955 - Autofähre zwischen Friedrichshafen und Romanshorn wird in Betrieb genommen. Zweistundentakt

Ab 1959 - Einstundentakt der Autofähre, kombinierter Eisenbahnwagen- und Automobiltransport

1976 - Einstellung Eisenbahnfährbetrieb (Trajekt), Beginn reiner Autofährbetrieb

1983 - Neue alte Autozufahrt zur Fähre geht in Betrieb

2000 - Die Genossenschaft Autofähre Romanshorn wird nach 46 Jahren liquidiert

(Sr. Galler Tagblatt v. 26.04.14)

 

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