Vor 100 Jahren:
Jahrhundertsturm im Juni 1914 kostete zahlreichen Bodenseefischern das Leben

Wenige Wochen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am 22. Juni 1914, wurde der Bodensee von einer schweren Sturmkatastrophe heimgesucht. Die Tragödie ereignete sich an einem Montagnachmittag, als mehrere Flottillen von Fischerbooten aus Staad, Arbon, Güttingen und Romanshorn mit dem Felchenfang beschäftigt waren. Nur eine geringe Anzahl dieser Boote waren damals mit einfachen Benzin- oder Petroleum-Motoren ausgerüstet, deren geringe Leistung zwar eine Geschwindigkeit von vier bis sechs Stundenkilometer ermöglichten, aber bei weitem nicht ausreichte, um gegen einen orkanartigen Sturm etwas auszurichten. Der Großteil der Boote musste stundenlang zu den Fanggründen rudern. Wer Glück hatte, konnte von einem der wenigen motorisierten Lastschiffe ins Schlepptau genommen werden. Die erfahrenen und wetterharten Seeleute erkannten zwar, dass sich am westlichen Horizont ein Gewittersturm aufbaute, aber die meisten Fischer waren noch mit dem Einholen der Netze beschäftigt. Der Fischfang war damals für zahlreiche Familien der einzige Broterwerb, denn die Vermietung von Fremdenzimmern kam erste viele Jahre später. Insgesamt befanden sich acht Fangflottillen mit etwa 60 Booten auf der Höhe von Langenargen, Arbon und Romanshorn.

Das Gewitter brach innerhalb von wenigen Minuten mit einer solchen Gewalt herein, dass sich nur wenigen Fischern die Möglichkeit blieb, sich mit auflaufendem Wind in Sicherheit zu bringen. Innerhalb weniger Minuten kenterte über ein Dutzend Boote Eines dieser ersten Opfer des war der Arboner Fischermeister Josef Riss. Er und sein Gehilfe hatten noch Glück im Unglück. Beide wurden auf ihrem kieloben treibenden Boot von dem Kursdampfer „Friedrichshafen“ entdeckt, der in Richtung Lindau unterwegs war. In einem gewagten Manöver gelang es Kapitän Tobold, mit dem  heftig schlingernden Dampfer beizudrehen und an die Schiffbrüchigen heranzuarbeiten. Dabei kam dem württembergischen Kapitän seine langjährige, bei der kaiserlichen Marine erlernte Hochsee-Erfahrung zugute. Unter eigener Lebensgefahr, gelang es der Schiffsmannschaft noch zwei weitere in Seenot geratene Fischer aus Staad an Bord zu nehmen. Für die Fischer Brunner, Meyer und Bruderhofer, die sich ebenfalls noch in unmittelbarer Nähe des Dampfers befanden, kam allerdings jede Hilfe zu spät. Sie ertranken vor den Augen der noch mit der Rettung ihrer Kollegen beschäftigten Besatzungsmitglieder der „Friedrichshafen“. Von besonderer Tragik war der Tod des Fischers Bruderhofer, der eine achtköpfige Familie hinterließ.

Ebenfalls vermisst wurde auch ein Fischer namens Füllemann aus Romanshorn. Sein Boot wurde mehrere Stunden später zusammen mit fünf weiteren Gondeln bei Langenargen an Land getrieben. Insgesamt forderte der Sturm zwölf Todesopfer. Glimpflich kamen zwei andere Fischer aus Staad davon, die mitsamt ihrem Boot in einem westlich des Schlosses Montfort angelegten Gemüsegarten landeten. Beide machten sich sofort auf den Weg zum Postamt, um fernmündlich ihre Angehörigen zu verständigen.

Erhebliche Schwierigkeiten bereitete der Sturm auch mehreren, sich auf dem See befindenden Dampfschiffen. Der „König Karl“, die von Rorschach nach Friedrichshafen unterwegs war, wurde durch einen einsteigenden Brecher die Glasabschlusswand zwischen den vorderen Radkastenhälften eingedrückt. Der Dampfer fand Zuflucht im Hafen von Langenargen, bevor er bei abflauendem Wind seine Fahrt nach Friedrichshafen fortsetzen konnte. Besonders übel mitgespielt wurde den Passagieren der „Helvetia“, die zwischen Friedrichshafen und Romanshorn unterwegs war. Zahlreiche Passagiere wurden seekrank, darunter auch die Kinder der Realschule Urnäsch, die von einer Besichtigung  der Zeppelinwerft zurückkehrten. Glücklicherweise entstanden an dem robusten Schiff nur geringe Seeschäden. Den österreichischen Schraubendampfer „Vorarlberg“, der zwei beladene Trajektkähne von Konstanz nach Bregenz schleppte, erwischte es ebenfalls. Einer der Trajektkähne stampfte so heftig, dass sich zwei Eisenbahnwaggons aus ihren Halterungen lösten und über das Heck in den See rollten. Dabei riss auch die Schleppverbindung und der antriebslose Kahn strandete am Ufer bei Nonnenhorn.

Auch an Land richtete der Sturm erheblichen Schaden an. In sämtlichen Gemeinden am östlichen Bodenseeufer wurden Hausdächer abgedeckt und ganze Obstkulturen vernichtet. Auch der Bahnverkehr zwischen Friedrichshafen und Lindau war durch umgestürzte Bäume an mehreren Stellen unterbrochen. Nach übereinstimmenden Berichten, soll dieser Gewittersturm eines der heftigsten Unwetter in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen sein.

(Karl F. Fritz 2014)

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