Ein echter Kapitän ist sich für nichts zu fein

Kleine Jungs träumen oft davon, Schiffskapitän zu werden - braun gebrannt, mit Wetter gegerbtem Gesicht und weißem Vollbart steht der Kapitän auf der Brücke. Soweit der Jungentraum. Allerdings: Bei der Weißen Flotte vom Bodensee beginnt der Tag eines Kapitäns im Blaumann und mit ölverschmierten, schwarzen Händen.

Morgens im Lindauer Hafen. Die Frühnebel lichten sich. Kapitän Walter Hörmann und sein Steuermann Markus Manz überprüfen die MS Stuttgart von Backbord bis Steuerbord, von Achtern bis zum Bug. Die komplette Schiffstechnik wird kontrolliert. Stimmen Öldruck und Kühlwasser? Sind Strom und Wasserversorgung, Rettungsmittel und Sicherheitseinrichtungen funktionstüchtig? Heute ist alles in Ordnung.

Sollte das einmal nicht der Fall sein, so können sowohl Kapitän als auch Steuermann die meisten Schäden selbst beheben. Sie sind Allrounder. Verstehen sich auf Technik, Mechanik und Elektronik genauso wie auf Nautik, Navigation und erste Hilfe. Anschließend wird gemeinsam das Deck geschrubbt. Selbst dazu ist sich ein Bodenseekapitän nicht zu vornehm. Die ganze Besatzung - Kapitän, Steuermann und zwei Decksmänner (Matrosen) - machen Klarschiff. Dann heißt es, sich schnell waschen und umziehen, um dem blitzsauberen Bild eines Kapitäns, Steuermanns oder Matrosen der Weißen Flotte zu entsprechen.

9.30 Uhr: Der Hafenmatrose dockt die Gangway an, die ersten Passagiere entern das Schiff. Decksmänner helfen beim Einstieg und bei der Orientierung an Bord. Jeder einzelne Fahrgast wird vom Kapitän erfasst, damit sich nicht mehr Leute auf dem Schiff befinden, als Rettungsmittel vorhanden sind. Nun heißt es Leinen los. Startklar zum Auslaufen. Mit leichtem Vibrieren setzen sich die beiden Propeller im Schiffsbauch in Bewegung. Das Stampfen und Dröhnen der Maschinen ist auf Deck nur dezent zu hören.

Für die Leute am Ufer und die Passagiere bietet sich nun das Bild aus dem Jungentraum: Braun gebrannt, im weißen Hemd, mit weißer Kapitänsmütze steht Hörmann auf der Brücke und manövriert, gemeinsam mit seinem Steuermann, das Schiff durch die Hafenausfahrt zwischen Löwe und Leuchtturm.

"Ja, es ist wirklich ein Traumberuf", sagt Hörmann, "aber nicht vergessen, wir stehen auch bei strömenden Regen, bei Wind, Nebel und Kälte auf der Brücke. Oder ersatzweise im heißen und ohrenbetäubend lauten Maschinenraum im Schiffsbauch, wenn es erforderlich ist." Walter Hörmann ist Bodenseekapitän aus Leidenschaft. Er liebt den See und den Umgang mit Menschen. Die Sicherheit der Passagiere ist sein höchstes Ziel. "Sie sollen sich bei uns wohl fühlen."

Über dem See liegt immer noch leichter Frühnebel. Kapitän Hörmann schaltet das Radargerät ein. Sein Blick ist konzentriert auf den See gerichtet. Nichts entgeht seinen Augen. Er reguliert den Kurs wenn nötig, gibt Warnsignale, überprüft laufend die Messgeräte auf der Brücke, kommuniziert mit anderen Schiffen. Bei aller Routine, die Aufmerksamkeit lässt nie nach. Als Schiffsführer hat er die Gesamtverantwortung für den schwimmenden Betrieb. Nicht immer präsentiert sich der See so freundlich wie heute. Er fordere die Schiffsführer jeden Tag anders, sorge immer wieder für Überraschungen. "Es gibt Tage, da geht ohne Radar gar nichts mehr. Ohne genaue Revierkunde wäre man da schnell aufgeschmissen."

Elternlose Kinder an Deck

Hafen um Hafen wird angelaufen. Mit Präzision das Schiff durch schmale Einfahrten und an schwierige Landungsstellen gelenkt und sanft an die Poller der Landungsbrücken angesetzt. Das ist Maßarbeit und verlangt Fingerspitzengefühl. Passagiere steigen zu, wenige aus, das Ziel ist Meersburg und dann die Insel Mainau.

In der Kombüse werkelt derweil Kurt Helbig. Er bereitet sich darauf vor, in den nächsten zwei bis drei Stunden 180 bis 300 Essen zuzubereiten. Nebenbei backt er frischen Zwetschgendatschi. Die Bordgastronomie ist ein wichtiger Faktor für die Fahrgäste. La Dolce Vita auf dem Bodensee.

Es passieren manchmal die verrücktesten Geschichten während eines Seetags. So komme es immer wieder vor, dass Kinder ohne ihre Eltern zusteigen. "Da steht man dann mit so einem Dreikäsehoch an der Hand auf der Brücke, tröstet, spendiert ein Eis und versucht die Eltern ausfindig zu machen", erzählt Hörmann.

Bis zum Abend befördert die MS Stuttgart rund 2000 Fahrgäste. Die Mannschaft sorgt dafür, dass die Menschen fröhlich und sicher drei Länder besuchen können. Um 19 Uhr legt die MS Stuttgart wieder in Lindau an.

Der Arbeitstag der Mannschaft ist aber noch nicht beendet. Die Maschinen werden für die Nacht gesichert und das Schiff besonders vertäut. Es wird aufgeräumt, und der Müll muss von Bord. Und wieder legen alle mit Hand an. Der Tag eines Kapitäns der Weißen Flotte endet auch im Blaumann.

(Schwäbische Zeitung v. 13.09.04)

zurück