Die Gäste feiern mit Schirm, Charme und Zylinder

Der gestrige Sonntag stand im Zeichen des 150 . Geburtstags des Lindauer Hafens . 1856 wurde er in seiner heutigen Form fertig gestellt . Menschen in historischen Gewändern, ein putziger Handwerkermarkt und zwei Pferdekutschen haben das Areal rund ums Hafenbecken zurück in die Zeit des Biedermeier versetzt .

Da steht sie nun, auf dem stolzen Schiff MS Lindau, die Oberbürgermeisterin Petra Seidl, und sieht in ihrem historischen Gewand gar bieder aus . So wie sich das gehört, an einem Tag, an dem es um Nostalgie geht, um das Heraufbeschwören der "guten alten Zeit", in der das Bürgertum eine Blüte erlebte und Monarchen noch das Sagen hatten . Ihrer Eröffnungsansprache lauscht eine überschaubare Menge, die am Ufer steht und in Nieselregen eingehüllt ist .

Seidl begrüßt die Landtagsabgeordneten Heide Lück und Eberhard Rotter, die Vertreter des Stadtrats und Landrat Dr . Eduard Leifert . Sie wirft einen Blick in die Vergangenheit des Seehafens, lässt nicht unerwähnt, dass er ohne Löwe und Leuchtturm natürlich schon viel früher Bestand hatte . Der alte Leuchtturm aus dem Jahre 1200 bezeuge dies eindrücklich .

Die Zuhörer erfahren, dass der Hafen bis 1939 große Bedeutung als Handels- und Warenumschlagplatz besaß . Von da an diente und dient er ausschließlich der Lustschifffahrt . Und welchen Stellenwert haben Löwe und Leuchtturm heute? "Der Löwe steht für Stärke, Kraft und Mut", sagt Petra Seidl . Eine Eigenschaft, die sie sich auch für die Politik in Stadt und Land wünsche .

Ob es Mut brauchen wird, um in den Verhandlungen mit der Stadt Konstanz in naher Zukunft die Eigentumsverhältnisse des Lindauer Hafens zu klären, lässt sich aus der Rede nicht heraushören . Das Geburtstagsobjekt gehört nämlich kurioserweise im Moment noch den Konstanzer Stadtwerken .

Aber wer will schon über Politik nachdenken, wenn gerade 50 festlich gekleidete Menschen aus Heiden in der Schweiz in schönster Biedermeierkleidung vorbeiflanieren? Fotoapparate blitzen, bewundernde Blicke bleiben an den Gewändern haften . Die beeindruckende Gruppe verteilt sich zwischen den paar Bretterbuden am Mangturm . Dort verkaufen Handwerker Keramik, Filzkleidung und Schnitzkunst . Der Duft von Dinnete schwebt über der pittoresken Szene, die Fans des Biedermeier stoßen entspannt mit einem Gläschen Wein an, im Pavillon am See lässt das Salonorchester Kaffeehausmusik erklingen .

Ruhig geht es auch im Friseursalon "Hair by Nick" zu . Dort kann sich jedermann kostenlos eine Biedermeierfrisur verpassen lassen . Nicole wird gerade kunstvoll auffrisiert . Man mag es kaum glauben - aber Biedermeierfrisuren sind Teil der Ausbildung im Rahmen von Stilkunde . Also kein Problem für einen gewieften Friseur . Nicole ist mit dem Ergebnis zufrieden: "Es trägt sich sehr angenehm, obwohl es so kompliziert aussieht . "

"Klein und schnuckelig"

Prolindau-Chef Oliver Eschbaumer - mitverantwortlich für die Organisation des Festes - steht im Frack am Hafen und zieht ein positives Resümee: "Unsere Erwartungen sind trotz des trüben Wetters übertroffen worden", meint er und lobt die "entspannte und gelöste Stimmung" . Spricht's und begibt sich mit Petra Seidl auf eine Kutschenrundfahrt .

Manchen ist das Fest indes deutlich zu bieder, wie einem Besucher aus der Schweiz: "Ich hätte mir zum Geburtstag des berühmtesten Hafens Deutschlands viel mehr erwartet . " Melanie aus Lindau findet das überschaubare Fest durchaus positiv: "Das ist doch typisch für Lindau: klein und schnuckelig . "

Besucher erkunden die beiden Leuchttürme bei freiem Eintritt, das Dampfschiff Hohentwiel schippert für ein halbes Stündchen in den Hafen ein, und gegen 19 Uhr begibt sich der Nachtwächter in historischem Gewand auf seinen Rundgang am Mangturm .

Er beschließt eine unaufgeregte Feier, die bei schönem Wetter mehr Besucher angezogen hätte . "Allerdings auch nicht mehr, als an einem sonnigen Spätsommertag ohnehin den Seehafen bevölkern", wie ein Gastronom hinter vorgehaltener Hand meint .

(Erich Nyffenegger/Lindauer Zeitung v. 18.09.06)

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