«Der Obersee ist ein Schiffsfriedhof»

Forscher haben unlängst das Wrack des Salondampfers Helvetia auf dem Grund des Bodensees gefunden. In seinem nassen Grab liegt das Schiff aber nicht einsam. Mindestens vier weitere Dampfer haben ihr Ende auf dem Seegrund gefunden, sagt Dampfschiff-Chronist Karl F. Fritz.

«Endlich.» Nur das sagt Karl F. Fritz, wenn es um den Fund der «Helvetia» geht. Der Salondampfer wurde kürzlich von Forschern auf dem Grund des Bodensees entdeckt. «Die <Helvetia> war etwas Spezielles.» Ihr Schnabelbug sei selten gewesen. «Darum konnten sie die Forscher ja so schnell identifizieren.» Sie sei das erste Halbsalonschiff der Schweizer Bodenseeflotte gewesen und eines der ersten beiden Schiffe mit elektrischer Beleuchtung. Doch eigentlich findet Karl F. Fritz die <Helvetia> nicht so spannend.

«Viel interessanter ist die <Säntis>», sagt er. «Und das berühmteste Wrack ist sowieso die <Jura>, die vor Münsterlingen gesunken ist.»

Insgesamt sechs Schiffe

Während Karl Fritz erzählt, wird immer klarer: Auf dem Grund des Bodensees haben einige Dampfschiffe ihr nasses Ende gefunden. «Insgesamt müssten fünf Dampfer und ein Motorschiff auf dem Seegrund liegen», sagt Fritz, der den Übernamen Bodenseekarle trägt. Er war eigentlich im Innendienst der Deutschen Post beschäftigt. Schiffe faszinierten ihn aber, seit er als dreijähriger Bub das Geschehen am Hafen von Konstanz beobachtet hat. So war für ihn klar, als er in den Vorruhestand ging, dass er bei den Bodensee-Schifffahrtsbetrieben eine Stelle annahm.

Er ist dort nicht nur Kassier auf den Fähren, er ist sozusagen der Betriebschronist. Mittlerweile hat er sieben Bücher zu Dampfern und Motorschiffen geschrieben. Deshalb weiß er: «Die Schiffe wurden in den 1930er- Jahren versenkt, weil die Schrottpreise zu tief waren. Es lohnte sich einfach nicht, die Schiffe auszuschlachten.»

Einfach versenken

Dieses Schicksal ereilte die «Helvetia» am 27. Oktober 1932. «Eigentlich hätte sie noch eine Gnadenfrist als Flottenreserve gehabt», weiß der Konstanzer. Doch bei einer Sonderfahrt sei ihr Rad-Arm des Steuerbord-Schaufelrades abgebrochen, eine Reparatur lohnte sich nicht, also räumte man das Schiff aus und versenkte den Rest im «Tiefen Schweb», zwei Kilometer vom Romanshorner Ufer entfernt.

Die «Säntis» folgte der «Helvetia» im Mai 1933. «Aber dieser Dampfer wurde nicht mehr ausgeräumt. Er wurde komplett versenkt», weiß der Konstanzer Chronist. Das Besondere an der <Säntis> sei auch, dass sie das erste Dampfschiff der Schweiz war, das auf ölbefeuerte Kessel umgerüstet wurde. Auf unbekannter Höhe – vermutlich zwischen Hagnau und Altnau, ruht auch der Schiffsrumpf des Salondampfers Kaiser Wilhelm – 1931 versenkt – und das Motorschiff Stadt Radolfzell, das nach nur neun Betriebsjahren 1935 versenkt wurde.

Für Taucher unerreichbar

Die Bergung der Wracks sei aber bestimmt kein Thema, wie Fritz sagt. «Das ist eine Kostenfrage. Das würde sich, zumindest in Bezug auf die <Helvetia>, nicht rentieren.» Und eine Plünderung der Wracks dürfte sowieso ausgeschlossen sein, wie er weiter sagt. «Sie liegen in einer für Sporttaucher unerreichbaren Tiefe.»

Nicht unerreichbar für Taucher ist das Wrack des Dampfschiffes Jura. Es liegt seit 149 Jahren in 42 Metern Tiefe vor Münsterlingen. «Es ist das bekannteste Wrack im Bodensee», sagt Fritz. Damit nicht genug: Es ist das älteste Dampfschiff der Welt und Europas berühmtestes Süsswasser-Wrack. «Die <Jura> wurde nicht absichtlich versenkt, sondern ist am 12. Februar 1864 von der <Stadt Zürich> bei dichtem Nebel gerammt worden und innert weniger Minuten untergegangen.» Ein Matrose verlor das Leben.

Plünderung der «Jura»

1964 entdeckten Taucher das Wrack. Seither ist die «Jura» Souvenirjägern und Vandalen zum Opfer gefallen. Dem schob der Regierungsrat des Kantons Thurgau 2005 einen Riegel, als er das Schiff unter Schutz stellte.

Die Stiftung Historische Schifffahrt Bodensee verfolgte schließlich den ehrgeizigen Plan, das Wrack zu bergen. Mit Elan hat sie die Geldbeschaffung gestartet. Aktivitäten wurden geplant, sogar Modelle von der «Jura» gefertigt, um das Projekt zu bewerben. Doch 2009 geriet die Stiftung in schwere See: Die öffentliche Hand verweigerte die finanzielle Unterstützung. Damals meinte der Präsident der Stiftung, dass an eine Bergung im eigentlichen Sinn, an deren Ende die Reparatur und Wiederinbetriebnahme steht, sowieso unmöglich sei. Das Projekt ist auf Eis gelegt.

Licht ins Dunkel

Karl F. Fritz macht das nichts. Ihn freut schon allein, dass durch das Forschungsprojekt «Tiefenschärfe», in dessen Rahmen die «Helvetia» gefunden wurde, nun Licht ins Dunkel des Seegrundes gebracht wird. Denn: «Der Bodensee ist ein Schiffsfriedhof.»

(Michèle Vaterlaus/Thurgauer Zeitung v. 18.11.13)

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