Arbeiten für die Urlaubsstimmung an Bord

LINDAU (rau) - "Manchmal räumt der Sturm die Tische schneller ab, als die Kellnerin das kann", erzählt Kapitän Christian Sigel. Doch mit Sturm rechnet niemand an diesem Morgen, an dem Schneegipfel unter postkartenblauem Himmel über den Bodensee herüber glitzern. Eine Kulisse wie gemalt für die 147 Passagiere, die in Lindau an Bord gehen. Ein ganz normaler Werktag und dennoch herrscht Urlaubsstimmung auf dem MS Stuttgart.

Pünktlich gibt der Schiffsführer das Signal zum Abbiegen. Die zweimal 490 PS der beiden Schiffsmotoren lassen den Rumpf vibrieren. Seit 1960 tun sie ihren Dienst. Die Rampe wird weggezogen, die Reling geschlossen, und langsam schiebt sich das Schiff in die Mitte des Hafenbeckens.

An allen Anlegestellen zählen Kapitän Sigel und sein Steuermann Peter Laser die ein- und aussteigenden Passagiere. "Ich freue mich jedesmal, wenn ich die bunt gekleideten Leute bei schönem Wetter draußen stehen sehe", sagt Sigel. Der 43-Jährige fährt seit vier Jahren auf der "Stuttgart".

In Kressbronn liegt die "Möve", das Arbeitsschiff der Bodensee-Schiffsbetriebe GmbH (BSB) am Steg. An die Rammpfähle werden neue Haken angeschweißt. Also müssen Sigel und Laser "gegen die Fahrtrichtung" mit der Backbordseite anlegen. Kein Problem, aber es kostet Zeit. Sigel steht wie immer draußen auf einem der Nocks, einer Art Balkon mit Steuergeräten, und regelt die Geschwindigkeit. Laser im Steuerhaus hält die Richtung. Die beiden harmonieren, da genügen wenige Worte.

Zwei Matrosen sorgen dafür, dass Ein- und Ausstieg reibungslos klappen. Die beiden, die an diesem Tag Dienst tun, stammen aus Ostdeutschland. Arbeitssuche hat sie an den See gebracht. Nur wer einen für den Schiffsbau passenden Handwerksberuf (etwa KFZ-Mechaniker) gelernt hat, wird bei der BSB eingestellt. Im Winter arbeiten alle in der Werft bei der Instandsetzung oder Grundüberholung. Die "Stuttgart" war im vergangenen Winter sogar auf der Helling, sie wurde also aus dem Wasser geholt. Jetzt ist vieles neu an dem Schiff. Von der schwer entflammbaren Deckenverkleidung bis zur elektronischen Steuerung. Die "Geradeausfahrhilfe" in der neuen Steuerung verhindert, dass ein Kapitän "seinen Namen in den See schreibt", wie früher über Schlangenlinien gewitzelt wurde.

Das Restaurant im Schiff füllt sich mittlerweile. Schön gedeckte Tische und gutes Essen lassen Kreuzfahrtgefühle aufkommen. Alle vier in Lindau stationierten Schiffe ("Mainau", "Stuttgart", "Konstanz" und "Lindau") werden vom selben Lindauer Betrieb bewirtschaftet.

Nach dem Anlegen an der Insel Mainau haben Sigel und Laser Zeit für ein schnelles Mittagessen. Der Zwölf-Stunden-Tag ist gut ausgefüllt. Begonnen hat er für den 36-jährigen Steuermann mit der Inbetriebnahme des Schiffes. Von der Trinkwasserbereitung über die Stromversorgung durch zwei Generatoren bis zur Motorenwartung im höllisch lauten Maschinenraum liegt alles in seiner Verantwortung.

Auf der Heimfahrt sehen die meisten Passagiere geschafft aus. Und mancher Fahrgast wird, getäuscht vom kühlen Fahrtwind, einen Sonnenbrand heimbringen, weil er die Sonne unterschätzt hat. Am späten Nachmittag erreicht die "Stuttgart" den Heimathafen in Lindau. Endstation ist das noch nicht. Sie fährt noch Bregenz an, wo die letzten Passagiere aussteigen. Einmal soll sich eine alte Frau allerdings hartnäckig geweigert haben, in Bregenz von Bord zu gehen, weil sie doch "weiter nach Kempten" wollte.

Linder Zeitung
(Stand: 05.06.2002 22:34)